L’Italia in bici 8.September – 6. Oktober 2007
Von Bellinzona durch die Poebene, über den Apennin in die Toscana, der Thyrrenischen Küste entlang an die Spitze des Stiefels und um diesen herum bis Bari
2’970 km in 25 Etappen, 8’540 Höhenmeter, 158 Stunden im Sattel
eine Bildersammlung zur Reise ist hier: Giro d’Italia
interessiert an Details?
hier geht’s weiter:
GIRO D’ITALIA 2007
4 Wochen den Stiefel “erfahren“ – ein Tagebuch
8. September – 6. Oktober 2007
Samstag, 8. September
Also, der Start war sehr gut: Bestes Wetter in Bellinzona am 8. September. Abfahrt vom Bahnhof um 10.20 Uhr, und schon mitten im Samstagmarkt. Aber irgendwie kommt man auch mit Saccochen hier durch, und dann entlang dem Ticino- Damm bis San Antonino. Weiter aber leider auf der Hauptstrasse bis endlich die Abzweigung nach Gamborogno kommt, und in Magadino beginnt schon der See: tiefblau, Palmen, was will man mehr! Der Verkehr ist jetzt mässig, auch viele Velofahrer, und um 12.30 beginnt schon Italia. In Luino einen kurzen Zwischenhalt mit Nickerchen auf einer Parkbank. Die schönen Badeplätzchen merke ich mir für ein anderes Mal und erlebe dafür nach Lavena die erste Irrfahrt, die mich statt dem See entlang 200 m‘ in die Höhe führt, und das mit 30 Grad und ca. 15 kg Gepäck. Nach einem kurzen halt in Angera und feine frischen Birnen erreiche ich um
18.10 Sesto am Ausgang des Lago Maggiore. Nach kurzer Ortsrundfahrt (hier startete Garibaldi zum Aufstand gegen die Österreicher) finde ich auch ein Hotel und begebe mich nach Duschen und Wäsche in den Ort zum Nachtessen: Voller Leben, alles läuft, nur die Bedienung hat keine Zeit. Essen wird eben kultiviert und nicht absolviert. Schliesslich reicht es nur noch zum Rest eines Konzertes in der Kirche, aber dafür hat man gelebt.
Sonntag, 9. September
Um 9 Uhr geht es weiter, dem Ticino – entlang. Alle sind am walken oder biken, aber trotzdem wunderbar. Zuerst der Ticino, dann die alten Nebenkanäle für die Schifffahrt, die um 1840 bis zum Aufkommen der Eisenbahn das wichtigste Transportmittel darstellte. Heute sind die Dammwege wunderbare Velowege, meistens mit Belag. Vom nahegelegenen Flugplatz Malpensa merkt man praktisch nichts. Entlang dem Kanal viel Wald, dazwischen verträumte Höfe und Häuschen, genau wie im Roman „das Haus am Po“ (unbedingt empfehlenswert!). In Bereguardo (nach 75 km) ist fertig, jetzt geht es auf Nebenstrassen, aber schon bald wieder auf andere „Navigli“ (alte Treidelwege), die entlang den Kanälen fu?hren, die nach der Schiffahrt vor allem
für die Bewässerung der Reisfelder verwendet wurden. Die Anlagen sind an den meisten Orten noch in Betrieb, der Reis ist gerade kurz vor der (2.) Reife.. In Pavia ( 89 km), beschliesse ich, gleich bis Piacenza weiterzufahren, wo ich um 20 Uhr nach 147 km lande und unweit des Zentrums ein Hotel finde. Nach Wäsche und Dusche darum auch hier noch ein erster Stadtbesuch mit Spaghetti olio e aglio vor dem beleuchteten Dom.
Montag, 10. September
Zuerst nochmals einen kurzen (2 Std.) Besuch der Stadt, und dann beginnt die Strecke, die ich am meisten fürchtete: Piacenza -Reggio, immer Hauptstrasse, d.h. Lastwagen und viel Verkehr. Ich montiere den Regenu?berzug (leuchtgelb) u?ber das Gepäck, ziehe das rote Veloleibchen an und lasse das Rücklicht blinken. Der Rest ist einfach: alles hat bestens geklappt, die Lastwagen und auch die übrigen Autofahrer sind im allgemeinen sehr rücksichtsvoll, und mit dem Ru?ckspiegel (sehr wichtig !!!) kann man sich immer etwas vorbereiten. Vor einem Lastwagen extra weiter in Mitte fahren, dann kurz vor deiner Ankunft recht ausweichen. Ich bedanke mich aber auch bei allen Chauffeuren, die extra hinter mir warten, bis es gut geht zum überholen. Fu?r mich ist dies die „Strada dei pomodori“: bei jeder starken Kurve und in jedem Kreisel ist der Rand voll Tomaten, welche die voll beladenen 40- tönner hier verlieren.
Kurze Halte in Parma (ohne Schinken und Parmiggiano) und Reggio (sehr schön!) komme ich schliesslich um 18.20 Uhr auch in Modena an, wo eben Pavarotti beigesetzt worden war. Die Stadt ehrt ihn mit grossen Postern.
Dienstag, 11. September
Heute geht es erstmals in die Höger. Die Ausfahrt aus Modena ist im Morgenverkehr ein Graus, aber schliesslich erreiche ich bei Vignola die ersten Hügel auf Nebenstrassen, und schon bald geht es auf einer Passstrasse von 200 m‘ auf 700 m‘ hinauf, und das in einer steppenartigen Landschaft bei 30 Grad! Ich lande etwas ungewollt schliesslich nach Montalbano (ohne Mord!) in Zocca auf der Höhe, wo es fast wie bei uns im Jura aussieht: etwas Wald. Weiden, und wunderbare Weitsicht in die Poebene zuru?ck. Auf und ab, am Schluss mit einer rassigen Abfahrt nach Silla stosse ich auf die Hauptstrasse Richtung Toskana. Porretta Terme inmitten von Wäldern ist ein Badeort mit echter Atmosphäre und wunderbaren Postkarten: Der Appenin muss gerade im Herbst und im Winter phantastisch sein. Zum Glu?ck kann ich die Hauptstrasse schon bald wieder verlassen und auf eine breiten aber recht steilen Strasse durch ein enges, voll bewaldetes Tal auf Nebenstrassen Richtung Pistoia fahren. In Pracchia erreiche ich auch schon die Toskana, aber bis auf die Passhöhe bei Piastre gibt es trotz Abendsonne und ersten Schatten noch manchen Schweisstropf. Vom Hotel Bellavista aus geniesse ich auch einen ersten Blick u?ber die weiten Ebenen der Toskana. Heute: 122 km, 7 Std. 40 gefahren.
Mittwoch, 12. September
Der Reisetag beginnt wie erwartete mit einer genialen Talfahrt nach Pistoia, aber dafür finde ich aus dieser Stadt (eher ein Riesendorf) den Ausgang fast nicht mehr und muss zweimal umkehren: alles für Autos signalisiert, aber Velofahrer?? ….was ist das?? Nach der breiten Ebene halt schon wieder ein Pass, und unterwegs gibt’s nichts zu trinken. Aber in San Baronto eröffnet sich ein endloser Blick hinunter in die Toskana. Die Abfahrt mit bis 15% belohnt jeden Schweisstropf des Aufstiegs. Einmal mehr lande ich fast auf der Autostrada, da die Bezeichnungen miserabel sind. Aber dann ist es doch die richtige Strasse Richtung Empoli, wo ich mit einem kleinen Umweg und entsprechenden Zwischensteigungen auch ankomme. Aber gleich weiter: es ist nur 68 km bis Siena, das schaffe ich doch noch. Ja schon, aber… Nach schönen Alleen ( Pinien oder Platanen, immer etwas schattig), beginne ab Poggibonsi dann die Höger, und wie: gleich nach dem Ausgang 100 m hinauf, mindestens 15%, nur um dahinter gleich ebensoviel wieder hinunterzufahren. und so geht es etwa weiter, zwar nicht mehr so schlimm, aber dafür lang: immer noch einer, dann noch einer,… Endlich, um 19 Uhr, die Tafel SIENA, aber nun wohin? Als erstes auf den Campo. Aber die Stadt entzieht
sich jeder Logik: endlose Strasse und Gassen, immer mit Kurven, und der Campo kommt einfach nicht: Endlich, um halb acht, sitze ich dort mit dem ersten Gelato aus den phänomenalen Gelaterie im letzten Sonneschein. Und alles voll, voll von Touristen; wo gibt es wohl noch ein Bett?? Die ersten drei Hotels wie erwartet negativ, das vierte (La Toscana) ebenfalls, aber ein Zimmer ist noch nicht bezogen und soll ab 21 Uhr freigegeben werden. Hoffen und warten, die Zeit mit einem Rundgang in der Nähe u?berbru?cken. Um 10 vor neun stehe ich gegenu?ber dem Hotel und warte und beachte jeden Fussgänger mit Koffer oder jedes Taxi mit Argwohn: sind das die erwarteten Gäste?? Alle gehen vorbei, Glu?ck gehabt! Dafu?r platscht es plötzlich feucht auf meinen Kopf. Ein Blick nach oben: im 3. Stock des Hauses steht ein Mann am offenen Fenster, schaut dem Treiben in der Gasse zu und spuckt dazwischen genüsslich auf die Strasse hinaus. Mein Vorteil von wenig Haaren: der kleine Rest Mineralwasser in meinem Gepäck reicht zum Waschen des Kopfes. Die Frau am Empfang will mir das Zimmer geben, muss aber die Zustimmung der Chefin haben. „Nein, noch warten bis 21.30 Uhr“. Und um 21.30 Uhr fährt ein Taxi mit 4 Japanern vor, die das Zimmer reserviert haben! Also doch nichts! Nachdem sich die Frau am Empfang einmal mehr gewundert hat, wie man nur so leichtsinnig sein kann, ohne Reservation nach Siena zu kommen, durchsucht sie mit mir das gesamte Verzeichnis der Hotels und Bed & Breakfest nach Möglichkeiten, telefoniert selber noch an einen Bekannten, während ich an ein gutes Dutzend Adressen telefoniere: überall nichts. Ich beschliesse, draussen direkt irgendwo eine Möglichkeit zu suchen, wo ich bis zum Morgen in Ruhe hocken oder liegen könnte, was sie absolut unmöglich findet und unbedingt weiter suchen will. Sowohl das 5-Stern Hotel für 460 Euro als auch das Obdachlosenasyl bleiben mir letztlich erspart, nachdem ich mit ihrer Hilfe und nach einigen weiteren Telefonen doch noch in Vico Alto etwa 4 km ausserhalb der Stadt ein gutes Hotel gefunden habe. Allerdings ist die Wegbeschreibung etwas kompliziert, so dass ich unterhalb der Altstadt an einer Kreuzung ein Auto aufhalte, um nochmals zu fragen. Nach der Beschreibung bietet der Fahrer an, mir voraus zu fahren. Also, 2 km so schnell als möglich im Dunkeln hintennach, bis er mir am Hang oben die Hotellichter zeigt und sich verabschiedet. Das Hotel ist gut und das Bier um halb zwoelf im ruhigen Garten eine echte Erholung!
Donnerstag, 13. September
Ein Tag um Siena zu geniessen, und zwar ohne Velo. An der Haltestelle kann ich kein Billet lösen, da alle Abonnemente haben. Als ich im Bus bezahlen will, lehnt der Chauffeur ab. „Und die Busse, falls eine Kontrolle kommt??“- „Ah, fanno tutti cosi!“ Schön, einfach so zu spazieren, ohne Ziel, ohne Uhr. Dafür einfach geniessen: – Gelato auf dem Campo, caffè con una briosc, – Der Dom: etwas vom absolut schönsten, vor allem der Boden, der nur gerade im September offen gelegt ist und vollständig mit einer Art Pflastermosaik geschmückt ist. – Draussen spielen zwei russische Akkordeonisten: die Bach- Toccata mit Fuge, Mozart, Rossini mit Willhelm Tell etc, phänomenal! – Der Palazzo Chiggi als Ort der Ruhe, – zum Schluss noch endlose enge Steintreppen auf die Mangia mit Tiefblick auf den Campo und über die Toskana. Zum Abschluss des Tages und vor dem Nachtessen bringe ich der receptionista im Toscana noch Blumen als Dank für ihre gestrige Hilfe
Freitag, 14. September
Wie immer bei der Ausfahrt aus einer Stadt: Morgenverkehr, keine Tafeln, probieren und auch korrigieren.. Ab Castalpino aber wird es gemütlich auf Provinzstrassen. Unterwegs Gräber aus dem 5. Jh. v.Chr., dann das Naturreservat Merse mit viel Wald, Abfahrten… Schliesslich Aufstieg nach Monticiano und zur Belohnung einen caffè mit cornetto, während nebenan die „anderen Pensionierten“ den alltäglichen Aperitifschwatz haben. Dann Roccastrada: ein Dorf auf dem Hügel, wie mit den Felsen verwachsen. Nach einem Nickerchen in einer Pinienpflanzung nehme ich noch die Hauptstrasse im dichten Verkehr bis Grosseto, wo ich mangels weiterer Übernachtungsmöglichkeiten bleiben will. Grosseto ist fast ganz von den alten Stadtmauern umgeben und mit den belebten Fussgängerzonen richtig gemu?tlich. Mit einem kleinen Openair einer Rockpop-Gruppe vor einem Ristorante mitten in der Stadt (wäre bei uns undenkbar!) beschliesse ich den Tag.
Samstag,15. September
Der letzte Abschnitt Toskana, aber was für einer! Natu?rlich zuerst wieder etwas Irrfahrten auf Hauptstrassen, bis ich endlich auf wenig befahrenen Strassen nach Montiano, Magliano und schliesslich Capalbio hinauf trampen kann. Nicht nur die Ortsbilder und die Aussichten, auch die Temperaturen sind Höhepunkte: immer so um 30 Grad: „von der Stirne heiss, rinnen muss der Schweiss …“(Goethe oder so). Aber wie Paula mir immer in Erinnerung rufen will (obwohl ich es immer auch weis): alles freiwillig!!.
Nach einer rassigen Abfahrt durch Olivenwald und dann zwischen frischgepflu?gten, roten Ackerböden muss ich schliesslich wieder auf die SS1 mit Autoverkehr >120 km/h und ohne Aussicht auf Alternativen. Also im Volltempo diesen Abschnitt möglichst schnell hinter mich bringen, bis ich nach 20 km endlich auf die Strada Provinciale Lateraneo ausweichen kann. Dafu?r ist die flache Landschaft jetzt recht monoton bis Civitavecchia. Hotelfinden ist am Samstag hier fast so schwierig wie in Siena, aber nach x Telefonen finde ich schliesslich an der Via Giampi eine Adresse mit freiem Zimmer und finde das sehr gemütliches B&B am Stadtrand nach einigem Fragen auch tatsächlich. Nach Duschen und Wäsche waschen nochmals rein in den Samstagabendtrubel und essen, und dann – chrr…….
Sonntag, 16. September
Ein ruhiger Sonntagmorgen, gut zum Fahren, da es keine Lastwagen hat. Aber zuerst nochmals in de Stadt für eine kleine Rundfahrt durch Stadt und Hafen mit den grossen Fähren. Auf der SS1 komme ich nun gut voran. Unterwegs u?berall Velofahrer einzeln oder in Horden, natu?rlich immer „Rennfahrer“. Lichtsignale gelten fu?r sie offenbar nicht, bei rot geht es über alle Kreuzungen, während die Autofahrer brav warten. Plötzlich tauchen ueberall kleine Rambos in Kampfanzu?gen mit Gewehr auf. Militär oder was?? Falsch, Jäger, die mehrheitlich frustriert vom Ku?stenstreifen zu den Autos zuru?ckkehren, alle ohne Beute, aber ausgeru?stet wie fu?r di Grosswildjagd (dabei gilt es nur Vögeln).Am Lido von Freggione geniesse ich das erste Meerbad. Luft 30 Grad, Wasser 23 Grad, wenig Leute, … was will man mehr? Um den Flugplatz von Fiumicino und über den (eher enttauschenden) Tiber hinein nach Ostia, dem Meerbad der Römer: 5 km Strandanlagen ohne Unterbruch, und alles voll. Dafür folgt danach ein wunderbarer Abschnitt von gut 10 km mitten durch Dünen mit einzelnen Stränden dazwischen. Durch endlose Ferienorte, die zu dieser Jahreszeit bereits halb leer sind, komme ich schliesslich wieder aufs offene Land mit Pinienund Platanenalleen nach Anzio. Hier herrscht um halb sieben abends Betrieb wie auf einem Jahrmarkt. Alle Leute sind auf der Piazza und am Hafen und beschliessen hier das Wochenende. Ich versuche es nach dem Hotelbezug heute einmal mit Meeresspezialitaeten: eine „Fraschetta di Mare“: Alles, was die ärmeren Leute früher so hatten vom Fischfang: Tintenfisch, ganze Krebschen (in den Spaghetti), Muscheln, Scholle, und und … Nicht schlecht, aber etwas u?belzeitig zum Essen fu?r einen unerfahrenen Binnenländer!
Montag, 17. September
Nachdem ich am Abend endlich herausgefunden habe, wo es internet gibt, mache ich am Morgen zuerst einen neuen Versuch. Ma chè! Die öffnen erst so gegen 10 Uhr, wie die Geschäfte! Also spazieren, Stadt, Hafen, etwas italienisch üben … Den Zeugen Jehovas versuche ich mich mit russisch zu entziehen, aber die haben sogar den Wachtturm in russisch in ihrer Tasche. Das nächste Mal versuche ich es wohl besser mit Wallisser- Tiitsch! Um 10 Uhr immer noch geschlossen. Die Nachbargeschäfte wissen nichts, vielleicht öffnet er heute gar nicht ?? Ich gebe es auf und starte (mit den gewohnten Stadtausfahrtsproblemen! Richtung Nettuno und dann u?ber Land nach
Su?dosten. Zwischen Meer und Binnensee (in Deutschland wären dies Nehrungen) geht es gemu?tlich weiter, bis plötzlich die Strasse im Sand aufhört. Also 3 km zuru?ck und nach Grappa (aber ohne Grappa) wieder auf die Hauptstrasse bis zur nächsten Abzweigung. Ohne Ortskenntnisse nu?tzen die Hinweistafeln gar nichts: “ Strada interotta tra km 12.3000 e 15.000″: wo bitte ist das?? Schliesslich klappt es doch wieder, und an absolut leeren Stränden kann ich meinen Badeort frei auswählen. Die Torre die Paola markiert das Ende dieses Abschnittes, und nach 200 m‘ Aufstieg geniesse ich von San Felipe Circeo aus die Aussicht u?ber das Ende der Ebene von Latina. In Terracina sind in den steilen Felsen über der Stadt noch ehemalige Felsenwohnungen sichtbar. In dieser Stadt finde ich endlich auch ein internet (natu?rlich von Indern), wo ich mich kurz informieren kann. Für mehr reicht es nicht, denn ich möchte noch bis Gaeta. Für die diversen kurzen Tunnels montiere ich mein blinkendes Ru?cklicht, denn die meisten sind nicht oder nur spärlich beleuchtet. Im letzten Dämmerlicht erreiche ich Gaeta und finde dank guter Signalisation auch sofort ein gutes 2-Stern-Hotel. Übrigens Hotel: es ist immer wieder spannend, was in der Dusche nicht funktionier. Bis jetzt fand ich folgende Möglichkeiten: Duschwand fällt heraus, Brause ist abgebrochen, Hahn fällt beim Bedienen ab, Brause spritzt nur seitwärts, Wasser tröpfelt nur (wenn man eingeseift ist), Duscheschlauch gebrochen, ….. Bis jetzt (inzwischen 16 Nächte) hat erst an 2 Orten alles geklappt. Ma, chè vuole, e l’Italia! Aber das Nachtessen (Spaghetti alle vongole, insalata mista, gelato, ó l vino della casa, caffe, grappa, alles fu?r 27 Euro) im schönen, aber fast leeren centro storico wie immer ein Genuss.
Dienstag, 18. September
Nochmals ein ausgiebiger Rundgang/-fahrt durch Gaeta. Die Stadt ist voller Kastelle, nur schade, dass die meisten nicht zugänglich sind: entweder Militär oder Polizei oder Guardia di finanza (mit einer ganzen Kriegsflotte im Hafen!).Eine besondere Sehenswürdigkeit ist die Torre del Duomo mit einem Unterbau aus griechischer und römischer Zeit und darauf ein normannischer Turm aus dem12.Jh. Karten schreiben, Caffe und wieder einmal eine CD von Francesco de Gregori kaufen, und dann weiter. Nach einigren Kilometern tauchen plötzlich Reste eines römischen Aquäduktes auf: Ich bin in Minturno, einem riesigen Gelände mit römischen Relikten. Also, Mittagspause und gemütliche Besichtigung mit Photos trotz Verboten. Aber es lohnt sich wirklich: Tempel, Bäder, Villen, die Via Appia, Latrinen, … Jetzt beginnt die Region Emiglia. Bei Mandragone ist der Strand wie immer schön und leer, aber für ein Bad doch etwas fru?h. Lieber erst später, … aber bei Licole scheint es mir dann doch etwas unheimlich mit den verlotterten Vororten, und zudem sehr dreckig. Schade, aber wohl besser so. In Stazione di Licola habe ich genug von der Hauptsrasse und wechsle auf eine kleine Seitenstrasse. Aber hier gelange ich Sinne des Wortes ins Schilf und schlage mich auf enger Strasse und mit dichtem Abendverkehr bis Baia durch, wo statt des erwarteten Sees nur endlos Häuser sind und in der Gelateria nur Magnum Glacen erhältlich sind. Immerhin, etwas Abkühlung tut gut. Und dann nochmals den einen Hügel rauf und hinunter nach Pozzuoli, wo ich einmal mehr im dichtesten Feierabendverkehr lande. Durchbeissen und informazione turisticche suchen, was sogar nach auf und ab gelingt. Und dort telefoniert der Signore sogleich an 2 Adressen, um mir ein B&B zu organisieren. Es klappt, aber warten bis 20 Uhr (es ist erst 18.50). Ich gehe an den Lungomare, trinke Caffe und fahre dann im Dunkeln die angegebenen 2,0 Kilometer Richtung Napoli, wo das B&B sein sollte. Tatsächlich, als ich gerade die 2 km gemacht habe, winkt auf einer Terrasse schon die Signora: ein kleine Wohnung mit Küche und Bad auf 2 Stöcken, sehr gemu?tlich, nur etwas laut. Aber dafür gibt es Ohropax, und wenn gerade kein Auto vorbei fährt, rauschen jenseits der Strasse die Wellen. Ein guter Ort, um 2 Tage zu bleiben und einen Ruhetag für die Besichtigung von Napoli einzuschalten.
Mittwoch, 19. September
Napoli, ohne Velo (es gibt ganz in der Nähe einen Vorortszug direkt in die Stadt). Statt langen Berichten einfach einige Erfahrungen und Bilder: – Billete kauft man nicht an der Station, sondern bei Tabacchiere (was eigentlich nicht?) – Jogger und Joggerin jeglichen Formates zockeln u?ber den Lungomare, auf Trottoirs und durch Gassen – Pompöse Hochzeiten vor dem Castel d‘ Ovo (fast wie im Mafiafilm!) – das Quartiere Spagnolo mit Palazzi und engsten Gassen, und darin bei der Stazione Montesanto auch noch der Markt mit Fischen, Kleider, Obst, … – Bettler vor jeder Kirche – Ein Mann verkauft Pakete mit Papiertaschentüchern, ein anderer jongliert den ganzen Tag (mit äusserst mässigem Erfolg) mit Keulen, … – die Galleria Umberto I mit Bodenmosaik und Glasdach – Vorhängeschlösser mit Namen von Brautpaaren an Laternenpfählen (gehen die wirklich nicht mehr auf ??) – Fussball spielende Kinder vor dem Caffe: nachdem der Ball zum dritten Mal in die Gäste fliegt, nimmt ihn der Kellner weg. Die Kinder wenden sich an zwei Polizisten, die den Ball wieder holen und dafür die Kinder verschiedenen Abfall zusammenlesen lassen: Alle sind happy! – Haltestellen kann man vom Zug aus nicht lesen, also gut aufpassen und lieber fragen, bevor man zu weit ist -….
Donnerstag, 20. September
Diesmal mit dem Velo nach Napoli hinein. Unterwegs sehe ich zum ersten Mal seit Pistoia einen Velotouristen, dem Gepäck nach könnte es sogar ein Schweizer sein (Veloplus- Tourentasche). Nach den engen Strassen vorher hat es in Napoli auf dem breiten Lungomare reichlich Platz, aber dann beginnt der absolute Horror für Velofahrer. Vom Zentrum weg dem Hafen entlang im dichten Morgenverkehr …, Strassen, auf denen wohl schon die Römer marschierten, grosse schwarze Pflastersteine, extrem uneben, dazu 3 Kolonnen von Autos und Lastwagen nebeneinander, irgendwo noch das Tram und dann die Busse. Volle Konzentration und immer wieder den Blick in den Ru?ckspiegel! Fast anstrengender als Appennin und Toskana zusammen. Aber einfach weiter, durch all die Vororte mit irgendwo parkierten Autos, die den ganzen Verkehr blockieren. Auf den Litoraneo ausweichen bringt auch nichts, der hat zwar weniger Verkehr, ist aber noch viel schlechter. Nach Torre del Greco (20 km nach Napoli) kann ich bei einer Tankstelle endlich verschnaufen. Jetzt beginnt ein schöner Abschnitt, aber dafür mit viel auf und ab. Nach dem total touristischen Sorrento geht es los mit Bergsteigen: 450 Höhenmeter, Kurve an Kurve, und das bei 30 Grad. Dafür eine Prachtabfahrt hinunter an die bilderbuchmässige Amalfi- Küste mit türkisfarbigem Meer in allen Schattierungen. Aber unten ist nicht unten; ein endloses auf und ab, hinein in Schluchten und wieder hinauf auf den nächsten Aussichtspunkt. Diese schöne Landschaft ist wirklich nicht gratis! . Immer wieder muss (oder darf) ich für einen Schnappschuss anhalten. In der Dämmerung erreiche ich schliesslich in Salerno wieder flacheres Gebiet und frage mich nach einem Albergo durch. Eigentlich alles gut, aber dann die böse Überraschung: wo ist meine ID ??? Entweder ist sie mir beim letzten Bancomat in Napoli herausgefallen oder ich habe sie im B&B in Pozzuoli nicht zuru?ckerhalten. Zum Glück habe ich eine Kopie bei mir und kann mich bei der kritischen Chefin doch noch ausweisen: Hauptsache, ich kann eine Nummer der Karte angeben, der Rest ist ihr ziemlich gleich. Das Velo kann ich in den Aufenthaltsraum des Personals stellen, das Zimmer können wir mit vereinten Kräften nach 5 Minuten ebenfalls öffnen, dafür von aussen dann nicht mehr schliessen. Aber durch das Fenster duftet es verführerisch aus der Küche herauf. Beim Nachtessen zuerst einmal ein SMS an Isabelle betreffend Möglichkeiten zur Beschaffung einer Ersatz-ID, dann einfach entspannen und geniessen. Beim abschliessenden Spaziergang auf dem grosszügigen Lungomare und durch die engen Gassen steht fest: hier muss ich mich am nächsten Morgen noch näher umschauen.
Freitag, 21.September
Salerno ist nicht nur Hauptstadt der Region Campagnia und Hafenstadt, sondern auch eine alte Universitätsstadt. Von engen Gassen, in denen ich mich bei der Durchfahrt von Autos in einen Hauseingang zwängen muss, gelangt man unversehens auf kleine Plätze mit Bäumen oder Kirchen. Im
Dom ein ständiges Kommen und Gehen vor der Statue des (umstrittenen) Padre Pio, dem vor allem in Süditalien wohl am meisten verehrten Heiligen. Für den Sonntag ist zu seinem Gedenken eine grosse Messe angekündigt. In den engen Gassen ertönt irgendwoher eine Blasmusik, und plötzlich taucht eine uniformierte Banda auf. Heute ist San Matteo, das Fest des Schutzpatrons von Salerno. Dazu ziehen während des ganzen Tages verschiedene Musikverbände durch die Stadt, und am Abend ist dann der grosse Umzug, bei dem alle Heiligenstatuen durch die Stadt getragen werden. Ich mu?sse unbedingt hier bleiben und mir das ansehen! Ich ziehe die Weiterfahrt jedoch vor und starte um halb eins weiter Richtung Süden. Die Strasse dem Meer entlang ist gut und hat nur wenig Verkehr. Nach einer Stunde lockt der einsame Sandstrand zu einem kurzen Bad. Das Wasser wie immer glasklar und mit ca. 22 Grad angenehm warm. Nach einer weiteren Fahrstunde taucht neben der Strasse eine kleine Akropolis auf: ich bin in Paestum, einer griechischen Siedlung. Der Stadtwall, der diese auf einer Fläche von fast einem km2 umschloss, ist noch weitgehend erhalten, ebenso einige Türme und Tore. Am auffallendsten sind die noch gut erhaltenen Tempel; die meiste Fläche ist heute jedoch Ackerland. Für den Besuch des Museums mit sehr vielen Fundstu?cken bin ich zu wenig an der Antike interessiert und fahre deshalb weiter. Am Morgen hatte ich wegen der ID mit Pozzuoli telefoniert. Die Frau versprach mir, nachzuschauen, ich solle doch um 15 Uhr nochmals telefonieren. Welche Erleichterung: sie hat sie in ihrem Bu?ro gefunden und auch bereits die Adresse des Consulato in Reggio ausfindig gemacht. Ich rechne damit, Montag oder Dienstag dort anzukommen, und sie wird die Karte am Samstag per Express dorthin senden. Von einer Vergütung der Kosten will sie trotz meines Drängens auf keinen Fall etwas wissen. Die Stadt Agropoli 15 km südlich von Paestum scheint auf Deutsche eine besondere Anziehung auszuüben, wahrscheinlich wegen des Namens. Auf jeden Fall sind die besseren Hotels und Campings hier nun neben Italienisch auch meistens noch deutsch angeschrieben. Die wenigen Touristen in der Stadt scheinen auch vor allem Deutsche zu sein. Die Stadt liegt auf einem Hügel über einem ausgedehnten Sandstrand und macht auch auf dem verkehrsfreien Hauptplatz einen gemütlichen Eindruck, so dass ich mir kurz überlege, hier schon zu u?bernachten und nochmals ausgiebig zu baden. Da es aber noch fast 3 Stunden hell bleiben wird, fahre ich um 16.30 doch weiter, zum ersten Mal wieder etwas abseits der Ku?ste, da hier keine durchgehende Strasse existiert. Bei Castellabate geht’s nochmals kurz ans Meer hinunter, und eine halbe Stunde weiter erreiche ich wieder definitiv die malerische Küste. Immer häufiger werden schwarze Flächen sichtbar, wo offenbar erst vor kurzem noch Flächenbrände die ausgetrocknete Vegetation zerstört haben. Ab und zu sind über dem Landesinneren auch noch braungraue Wolken sichtbar; offenbar brennt es dort immer noch, denn Helikopter und Wasserflugzeuge fliegen regelmässig hin und her. Kurz vor Sonnenuntergang erreiche ich das auf einer flachen Landzunge liegende Städtchen Acciaroli. Im Hotel Girasoli scheine ich der einzige Gast zu sein. Einzelzimmer gibt es wie meistens nicht, das Doppelzimmer kann ich wenigstens um 10 Euro auf 60 Euro hinunterschwatze. Zuerst einmal aber noch schnell ein Bad direkt am Strand vor dem Hotel: im Sonnenuntergang fast schon kitschig, aber doch echt! Nach dem Nachtessen (pesce spido: sehr gut!) streife ich noch etwas durch den kleinen Ort, um in Ruhe ein Bier zu trinken. Beim Hafen scheint tatsächlich noch ein bar noch nicht leer zu sein, und ich setze mich an ein leeres Tischchen im Freien. Statt bestellen zu können, wird mir aber ein Glas Bianco gereicht, immer mehr Leute kommen, die sich offenbar kennen, und schliesslich auf einen Geburtstag angestossen. Ich versuche, das Missgeschick zu klären, aber für den Gastgeber ist klar: das sei jetzt eben richtig „casa aperta“. Beim Genuss der kleinen Häppchen, die ständig neu herumgereicht werden, erfahre ich im Gespräch mit Tischnachbarn, dass die meisten Leute hier ihre Ferienwohnungen haben und nun nach der Feriensaison jeweils noch von Freitag bis Sonntag vor allem von Napoli hierher kommen. Nach einer Stunde gelingt es mir dann doch noch, mich aus dieser Gesellschaft zurückzuziehen und auf einem kleinen Plätzchen ein Peroni (sehr verbreitete ital. Biermarke) zu bestellen. Gebracht wird mir nicht nur das Bier, sondern dazu gleich ein Plättchen mit Oliven, Käsestückchen und biscotti mit diversen feinen Pasten. Und all das für 2.20 € ………..
Samstag, 22. September
Nach einem nochmaligen Rundgang durch das noch sonntäglich verschlafene Acciaroli und einem kräftigen Espresso geht es mit frischen Birnen und Pflaumen im Gepäck weiter. Die Strada Provinciale 267 ist gut ausgebaut und hat wenig Verkehr, so dass ich die immer wieder wechselnden Aussichten über die 50 bis 100 Meter tiefer liegende Küste richtig geniessen kann. Vor Marina di Casel Velino lasse ich mich wieder einmal durch die immer auf Autofahrer ausgerichteten Wegweiser verleiten und mache statt der Ortsdurchfahrt mit Küstenstrasse einen Umweg auf der Hauptstrasse von 5 km ins Landesinnere. Die Hänge sind hier mit weissen Schutzfolien verunstaltet, die Obstanlagen und Reben u?berdecken. Bei, der Torre Velia gelange ich wieder ans Meer, aber nur kurz, denn jetzt geht es steil hinauf nach Ascea, 210 m.ü.M. Bei der bereits beginnenden Mittagstemperatur von gegen 30 Grad fliesst der Schweiss dabei schon ausgiebig. In einem Alimentari kaufe ich frische Feigen und etwas Brot und Käse, worauf mir die Verkäuferin gleich ein frisches Sandwich zubereitet. Einmal mehr geht es nicht direkt der Küste nach, sondern zur Querung eines tiefen Tales steil abwärts nach Osten und dann ebenso steil wieder in Richtung Meer aufwärts. Im Talhintergrund werden gigantische Stu?tzmauern und Brückenpfeiler sichtbar, an denen dem Aussehen nach aber seit Jahren nicht mehr weitergebaut worden ist. Wahrscheinlich hat hier einmal ein Politiker seinen Wählern eine neue Strasse nach Rodio versprochen, ohne das Geld dafür gesichert zu haben. Dafür ist die Strada Provinciale jetzt plötzlich nur noch einspurig befahrbar, da der ganze Hang zu rutschen scheint und die Talseite der Strasse gesperrt ist, während die noch offene Fahrbahn auf und ab führt und in einem Abschnitt sicher schon über 20% steil ist. Lastwagen schaffen es nur noch im Schritttempo! Im malerischen Pisciotta eine kurze Erholungspause auf dem Dorfplatz und dann wieder gemütlicher nach Palinduro hinunter, von wo wieder ein längerer Landabschnitt beginnt. Das anfänglich sehr breite Tal des Mingardo wird allmählich zu einer engen Schlucht, über der hoch oben auf den Felsen Häuserreste in den blauen Himmel ragen: ein Bild fast wie im Kaukasus. Es ist San Severino, gemäss einer Hinweistafel ein seit Jahrhunderten verlassenes Dorf aus dem XI. Jahrhundert. Hinter einem kurzen Tunnel öffnet sich ein weites stark bewaldetes Tal mit einer alten Bahnlinie und einer ganz neuen Autobahn. Auf der alten fast autofreien Strasse geht es ständig aufwärts über Poderia mit der alten verfallenden Kirche am Dorfeingang, durch Celle di Bulgheria bis zur „Passhöhe“ (430 m) bei Roccagloriosa, das von weitem sichtbar seinem Namen alle Ehre macht. Ich wundere mich einmal mehr, wie früher alle diese Dörfer und Städtchen zuoberst auf den Bergen gebaut wurden, wo das Wasser doch sogar weiter unten oft schon Mangelware ist. Wie schon von Acea her ist auch diese Gegend noch Bestandteil des „Parco Nazionale del Cilento e Valle Diano“. Der Chrampf des Aufstieges wird wieder mit einer langen Genussabfahrt über Torre Orsaia nach Policastro am gleichnamigen Golf belohnt. Bei Villamare folgt auch noch das schon zum festen Tagesprogramm gehörende Bad. Ab Sapri folgt wieder Steilküste mit ständigem auf und ab. Über Maratea breitet auf einer Bergspitze eine riesige Christus-Statue die Arme aus, mit 22 m Höhe angeblich die zweitgrösste hinter derjenigen von Rio de Janeiro. Weiter hinten eine Kirche, die aus der Ferne an die Akropolis erinnert. Die Basilica di San Biagio wurde denn auch im 7. Jh. auf den Ruinen eines griechischen Minerva- Tempels errichtet. Südlich von Maratea fliegen wieder Löschflugzeuge, und in der Dämmerung werden nun neben den Rauchwolken auch deutlich die Brände sichtbar, die sich zum Teil direkt oberhalb der Strasse als Flammenlinien durch die Hänge fressen. Je dunkler es wird, umso faszinierender ist das Schauspiel. Deshalb kümmere ich mich auch erst nach Einbruch der Dunkelheit um halb acht um ein Bett bei Marina di Maratea. Das „Feuerspiel“ an den Hängen bildet beim Nachtessen in einem Gartenrestaurant die unheimliche Kulisse.
Sonntag, 23. September
Heute Sonntagmorgen sind vor allem wieder Gruppen von „Rennfahrern“ mit dem Velo unterwegs, sonst nur wenig Verkehr. Nach der Torre Caino auf dem einsamen Felssporn ist die Steilküste vorerst zu Ende. In Praia a Mare bereiten die ersten Ausflügler am noch leeren Strand ihre Picknickplätze vor. Eigentlich wollte ich urspru?nglich die alte Küstenstrasse durch die Dörfer hindurch benutzen. Da die Strasse aber jedes Tälchen zuunterst quert, um dann wieder kurvenreich ins nächste Dorf hinaufführt und gleichzeitig die neue Hauptsrasse kaum Verkehr hat, ziehe doch bald letztere vor. Für die kurzen Tunnels lasse ich sicherheitshalber mein Rücklicht blinken. Diamante klingt nicht nur schön, sondern ist auch ein sehr malerisches Städtchen, in dem ich mir selbstverständlich auch den caffè mit den feinen dolci nicht entgehen lassen kann. Paola sollte eigentlich mein nächster Etappenort sein. Trotz ansprechendem Namen und den allgegenwärtigen Hinweisen auf die Stadt als Geburtsort des Heiligen Francesco (offenbar nicht derjenige von Assisi) bietet der Ort ausserhalb des kleinen, in den frühen Nachmittagsstunden ganz verlassen wirkenden Centro storico nicht besonderes. Nicht einmal eine Ansichtskarte ist auf zu treiben. Also auch wieder weiter! Amantea mit seinem Strand und den feinen Gelati lädt schon eher zum Bleiben ein. Aber nach dem Bad beschliesse ich doch, nochmals so ein bis zwei Stunden zu fahren. So komme ich schliesslich kurz vor Sonnenuntergang nach Falerno Scala und Gizzeria Lido, wo wie überall am Sonntagabend noch Touristenbetrieb mit Buden und Marktständen herrscht. Ein Hotel ist schnell gefunden, und mit dem Sonnenuntergang reicht es gerade nochmals für ein kurzes Bad.
Montag, 24. September
Ein wiederum wolkenloser Himmel, aber leider starker Wind von Südosten, und genau in diese Richtung geht es auf den nächsten 15 km! Aber nach der Umfahrung des Flughafens Lamenzia Terme fu?hrt die Strasse nach Süden durch Reben und Orangenpflanzungen und ist zudem meistens noch von Bäumen gesäumt, so dass es schneller und mit weniger Kraft weiter geht. Bei Angitola studiere ich nochmals die Karte genauer: Der Küste entlang wäre es zwar sicher sehr schön, aber es geht dazwischen auf und ab und zudem mehrmals auf über 400 m hinauf. Zudem hatte ich schon sehr viel Küste, und noch mehr wird folgen….., also auf der Hauptsrasse weiter über Vibo Valentia, das zwar auch auf 480 m.u?.M. liegt, aber dafür ziemlich direkt Richtung Südwesten führt. Die nächsten 1 ó Stunden muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass es der Ku?ste entlang ja noch viel länger gegangen wäre, um vor allem die letzten 6 km bis Vibo hinauf das Velo nicht einfach zu stossen. Noch kaum zuvor hatte ich den caffè mit cornetto samt gelato so verdient. Nach etwa 8 km leichtem auf und ab folgte dafür eine der längsten Abfahrten: Fast 20 km lang, immer leicht abwärts bis vor Rosarno. Jetzt gäbe es nur noch eine kurze Steigung bei Palmi, und zuvor sicher noch ein Bad! Leider nein: Bereits in Gioia Tauro ein unvorhergesehener Stutz, und dann nur noch mehr oder weniger ständig aufwärts, ohne dass in der Karte Kurven darauf hingedeutet hätten. Bei einer Tankstelle mache ich nochmals Pause und hoffe und esse ganz langsam zwei Knusperstengel zur Stärkung. Bei der Weiterfahrt hoffe ich bei jeder Kuppe, dahinter gehe es endlich flach oder sogar hinunter, aber nein: nach Palmi geht es erst recht obsi, und ich helfe mit etwas Traubenzucker nach. Ein italienischer Fahrer mit Rennrad leistet mir schliesslich Gesellschaft und will alles über meine Tour wissen. Dafür kündet er mir bewundernd den baldigen Höhepunkt an und gibt gleichzeitig Tipps, wo der nächste Brunnen mit gutem Trinkwasser sei. Nach 1 ó Stunden Aufstieg ereiche ich auf 540 m. die Höhe und leere erschöpft, aber beruhigt und zufrieden den Rest meiner Flasche in mich hinein. Bis nach Reggio gehe es nur noch flach oder hinunter, hatte mir der Begleiter versprochen. Tatsächlich, es beginnt vielversprechend: mit 15% nach Bagnara hinab und hier in einer Tremola durch den Ort bis ans Meer hinunter. Hoch oben schwingen sich die grossen Brücken der Autobahn über die tief eingeschnittenen Schluchten, und unten geht es auf der Provinciale immer 10 bis 30 m über dem Meer der Bahnlinie entlang. Nur schade, dass der Scirocco kräftig und recht konstant in der Gegenrichtung bläst. In Scilla geht es nochmals hinauf, da die Felsen hinter dem Castello direkt ins Meer abfallen. Sämtliche Strassen sind voll geparkter Autos, im Zentrum vor der Kirche stehen die Leute (d.h. vor allem Männer!) dicht gedrängt an den Strassenrändern und auf den Treppen, die Polizei versucht vergeblich, den Durchgangsverkehr irgendwie zu regeln. Eine Beerdigung, offenbar nicht eines unbedeutenden Schluckers, und das Volk wartet nun, während in der Kirche die Messe noch dauert. Ein Bild wie aus einem Mafia- Film. Der Rest des Ortes ist wie ausgestorben und auf der Fortsetzung der Strasse kein Auto unterwegs. Dafür wird der Scirocco immer kräftiger. In geringer Distanz ist die Nordspitze Siziliens sichtbar, in der Meerenge dazwischen einzelne Frachtschiffe. Nach 17 Uhr erreiche ich Villa San Giovanni, wo Paul Tschopp und Urs Fischer 2006 eine ähnliche Tour abschlossen. Obwohl ich deswegen heute auf das Bad verzichten muss, will ich nun gleich noch weiter bis Reggio. Der letzte Abschnitt wird aber recht mühsam: Feierabendverkehr, enge Strassen, für jede Bachquerung jeweils hinauf auf eine Bru?cke und dann wieder hinunter, … Um 18 Uhr bin ich endlich in so vielen Häusern mit Geschäften, dass dies wohl Reggio di Calabria sein muss, also jetzt gleich auch noch nach der Adresse für das Consulato Svizzero fragen. Vorerst geht es gut, doch als ich in der fraglichen Gegend beim Zentrum bin, finde ich kaum irgendeine angeschriebene Strasse. Also wieder fragen, weiter suchen, wieder fragen….., dabei hatten die mir am Telefon doch gesagt, das sei ganz einfach zu finden, gleich beim Zentrum! Nach 40 Minuten erhalte ich In einem Modegeschäft schliesslich die Auskunft: gleich dieser Eingang nebenan! Aber keines der Namenschilder beim Eingang weist auf ein Konsulat hin. Im 2. Stock ein Avvocato, hier mu?sse ich läuten. Si, si, ich solle nur raufkommen. Der Mann, der mir die Türe öffnet, bittet mich durch die Leute hindurch (wer arbeitet, und wer wartet auf sein Geschäft) ins Wartzimmer, “der avvocato sei gleich frei“. Nach einer halben Stunde führt mich dieser in sein Büro, wo noch einige Leute herumstehen, offenbar Kollegen und Angestellte. Ja, die ID sei heute nicht gekommen, aber er werde mir morgen Mittag telefonieren, ob sie hier sei. Da ich ohnehin einen Tag bleiben will, stört mich das noch nicht besonders. Aber jetzt solle ich ihm und den Anwesenden erzählen, wie die Reise verlaufen sei und was ich weiter machen wolle. Da er ständig italienisch spricht, versuche ich auch nach bestem Können italienisch zu antworten, während er ständig für die anderen dazu kommentiert. Schliesslich fragt er, wo ich aus der Schweiz herkomme. Auf meine Antwort hin beginnt er plötzlich Schweizerdeutsch zu sprechen: er sei bis achtjährig in Luzern aufgewachsen und erst dann mit den Eltern nach Reggio zurückgekehrt sei. Aber schon nach kurzer Zeit wechselt er wieder zu italienisch. Auf meinen Hinweis, dass das Konsulat schwierig zu finden gewesen sei, öffnet er das Fenster und zeigt auf eine Schweizerfahne, die darüber hängt, und unter dem Fenster sei eine Plakette mit Wappen. Aber die Eröffnung sei eben erst am 5. Oktober, er dürfe auch den bereits erhaltenen Stempel noch nicht benutzen. Er will mich auch zur Eröffnung einladen, aber ich habe ja auf den 5. Oktober den Flug ab Catania reserviert. Nach der langen Fragenbeantwortung möchte ich aber nun auch von ihm etwas wissen: wo ich ein gu?nstiges Hotel in der Stadt finden könne? Ah no, kein Hotel, besser ein Bed & Breakfest, das sei viel besser und erst noch günstiger. Nach einigen Telefonen hat er mir auch bereits
eines gefunden und will mir auch den Weg dorthin zeigen, sobald er mit der Arbeit in 20 Minuten fertig sei. Ich ziehe es vor, draussen bei meinem Fahrrad zu warten und richte dieses für eine Nachtfahrt durch die Stadt ein. Nach etwa der doppelten Zeit kommt er mit seinem Kollegen heraus, plaudert noch eine Weile weiter und fährt mir schliesslich mit dem Motorrad durch den Verkehr voraus bis zu einem älteren Haus in einer ruhigen Strasse. Das Bed & Breakfest hat vier grosse Zimmer mit einem gemeinsamen Bad und hinter der Küche einen schönen gedeckten Sitzplatz im Garten. Das Zimmer mit Fru?hstu?ck für 30 € pro Nacht, aber ohne Quittung (also schwarz!). Ich brauche keine Quittung, also gut so. Ich stelle das Velo in den Garten und frage nach Möglichkeiten zum günstig essen. Michele, der Vermieter, kommt mit mir sofort zu einer Bar in der Nähe und verhandelt mit dem Betreiber, dass er mir auch nach 21 Uhr noch etwas serviere. Solch einen Service habe ich wirklich noch nie erlebt! Allerdings ist die Pasta dann nicht so besonders, und den lauwarmen Wein kühlt der Kellner mit Eiswürfeln im Glas. Aber alles kann man nicht verlangen für 8 € inkl. Salat, Mineralwasser und caffè.
Dienstag, 25. September
Geweckt werde ich um 7 Uhr von einem fröhlichen Glockenspiel vom nahen Kirchturm. Beim gemütlichen Morgenessen im Garten studiere ich zunächst einmal die Karte. Da ich noch bis zum 5. Oktober Zeit habe, muss ich nun über die Fortsetzung der Reise entscheiden: Rund um Sizilien oder weiter der Ku?ste entlang bis gegen Bari? Mit Paula möchte ich eigentlich schon lange einmal nach Sizilien, zudem stellt der Wetterbericht für Sardinien und Sizilien etwas Niederschlag in Aussicht. Also Kalabrien und Apulien und dann mit der gemäss Hallwag- Strassenkarte bestehenden Fähre ab Bari zurück nach Catania für den Heimflug am 5. Oktober. Michele ist zwar nichts von einer solchen Fähre bekannt, und wir finden sie auch im internet nicht. Dafür empfiehlt er mir der Küste entlang weitere B&B und besonders auch agriturismo- Unterkünfte. Ich schreibe mir einige heraus und starte dann zur Stadtbesichtigung. Die Innenstadt ist mit ihren meistens rechtwinklig verlaufenden Strassen, die zum Teil auch verkehrsfrei sind, recht übersichtlich und hat viele klassizistische Bauten aus der Zeit um 1900.
Als erstes besuche ich gemäss Empfehlung von Michele den Markt: Die Kleider- und Warenverkäufer (vor allem Afrikaner) schlagen erst ihre Stände auf, während die italienischen Gemüse-, Obst- und Fischverkäufer bereits voll im Geschäft sind und sich gegenseitig mit den Preisangeboten heiser schreien. Tomaten, Peperoni, Auberginen, Obst, Oliven, Kaktusfeigen in allen Farben und Formen, so dass ich mehr als eine Stunde nur schauen muss. Ich lasse mir zeigen, wie man Kaktusfeigen isst: sehr aromatisch und erfrischend, solche muss ich auch einmal unterwegs probieren. Nachher folgt ein Spaziergang am grosszügigen Lungomare. Schade, der Ätna ist wegen den Wolken über dem sizilianischen Ufer nie sichtbar. Dafür beeindrucken die prächtig blühenden Büsche und die überdimensionalen gemusterten Menschengestalten, die zwischen den Bäumen liegen. Mitten in der Stadt steht auch noch ein mächtiges Castello aus der Normannenzeit (11. Jh.). Der Dom wurde beim verheerenden Erdbeben von 1908 stark beschädigt und anschliessend recht kitschig neu gebaut. Der Avvocato telefoniert mir am Mittag, dass die ID angekommen sei und er sie mir bringen werde. Wir treffen uns um 4 Uhr in einem Bar, wo er mir nicht nur die Karte bringt, sondern auch gleich noch den caffè mit dolce übernimmt. Jetzt kann ich unbeschwert weiter reisen. Da es leicht zu regnen beginnt, statte ich doch noch dem berühmten archäologischen Museum einen Besuch ab. Neben den griechischen Vasen mit feingliedrigen Zeichnungen sind vor allem die beiden unversehrten Bronzestatuen eindru?cklich, die erst 1991 zufällig von einem Taucher vor Locri entdeckt worden sind. Der Zugang zu diesen Ausstellungsräumen ist nur über speziell gesicherte Tu?ren möglich, und es herrscht strenges Photographierverbot. Die anwesenden zwei Aufsichtspersonen sind aber so in Lotterie- Diskussionen vertieft, dass ich hinter den Pfosten trotzdem ein Bild machen kann. Mit einem ausgiebigen Essen (spianattina, insalata mista, vino, acqua, caffè, 26 €) in einer Osteria beschliesse ich schliesslich diesen Ruhetag und hoffe, dass die angekündigte Wetterstörung nicht lange anhalten wird.
Mittwoch, 26. September
Schon in der Nacht wache ich vom gewaltigen Rauschen und Plätschern auf: es giesst wie aus Kübeln! Nachdem ich Morgen knapp zum nahegelegenen caffè gelangt bin, muss ich für die Rückkehr zum Haus 20 Minuten warten, um nicht gleich vom nächsten Wolkenbruch weggespült zu werden. Also einmal abwarten und unter dem Gartendach ein wenig meinen italienischen Wortschatz ergänzen. Die Regenpausen werden allmählich länger, und um 9 Uhr wage ich den Aufbruch, nachdem ich das Gepäck mit der Schutzhülle abgedeckt habe und alles Regenzeug in Griffnähe bereit gemacht habe. Im dichten Morgenverkehr bin ich mit der gelben Regenhülle auch besser sichtbar. Auf dem Lungomare und dann immer guten Wegweisern nach verlasse ich die Stadt. Noch keine Stadtausfahrt war bisher so klar wie diese. Zwar ist die Strasse in einzelnen Abschnitten nur ein Teppich von Flicken, aber nach einem Tunnel mit rasenden Lastwagen nimmt der Verkehr allmählich ab, und die Strasse ist tadellos. Zudem wird es immer blauer und statt dem Scirocco gegen mich habe ich einen kräftigen Nordwestwind im Rücken, der mich locker mit 35 km/h südwärts sausen lässt.
Nur der Ätna will sich auf der anderen Seite der Meerenge weiterhin nicht zeigen. Auf dem in
allen Schattierungen von türkis glänzenden Meer sind ständig 4 bis 5 Schiffe in Sicht. In Melito am südlichsten Punkt des Festlandes mache ich einen ersten Kaffeestopp und kaufe etwas Zwischenproviant (2 feine Panini, 100 g Pecorino und 1 ó l Mineralwasser für 1.90 €!). In Bova Marina wähle ich zum Glück die enge Ortsdurchfahrt und komme so auch zur malerischen Punta Maria delle Mare, einer auf einem Felsvorsprung liegenden kleinen Kappelle mit grosser Marienstatue davor, die einen der schönsten Ku?stenstreifen überblickt. An der Strasse hat es jetzt immer wieder grosse Kakteen voller Feigen, die zum Teil schon heruntergefallen und verquetscht sind. Also endlich mal direkt pflu?cken- aber Hoppla! Die sind ja voll mit feine, kaum sichtbaren Stachelhaaren, die äusserst schmerzhaft sind und ohne Pinzette wegen der Feinheit kaum entfernt werden können. Ich begnüge mich mit 2 Stu?ck und einer Viertelstunde Versuch, Stacheln zu ziehen, aber ziemlich erfolglos. Also möglichst nicht daran denken und weiter fahren. Erst beim Bad in der starken Brandung (Sand und Wellen wie auf Sylt, aber das Wasser gut 23 Grad warm!) bei Stazione di Ferruzzano gelingt es mir wenigstens teilweise, mit Wasser und Sand einen Teil der Stacheln abzuwischen. Die restlichen rufen sich noch gut 2 Tage immer wieder in Erinnerung.
In Locri ist von der riesigen griechischen Siedlung kaum mehr etwas sichtbar, so dass sich ein längerer Stop nicht zu lohnen scheint. Dafür ist Siderno, das sich selber als Zentrum der Costa die Gelsomini (Jasmin) bezeichnet, in der einsetzenden Dämmerung sehr stimmungsvoll, besonders mit dem gerade erklingenden Glockenspiel vom Kirchturm. Ein alter Radfahrer am Lungomare führt mich zum bescheidenen, aber sauberen Albergo Gentiluomo. Im Eingang sitzt eine Nonna beim Essen im Schaukelstuhl, dahinter empfängt mich die alte Chefin, die mein italienisch zwar zu verstehen scheint, aber beharrlich nur im kaum zu verstehenden Dialekt antwortet. Immerhin klingt das „Buono saira“ fast romanisch vertraut, und ich scheine willkommen zu sein. Das Velo kann ich auf der Rückseite des Hauses auf dem abschliessbaren Sitzplatz abstellen, doch raten mir die beiden Frauen dringend, es zusätzlich mit dem Schliesskabel an den alten Kühlschrank an zu binden, der ebenfalls dort deponiert ist. Die sind ja viel misstrauischer zu den eigenen Leuten als ich Ausländer! Eine jüngere Frau, die auch italienisch spricht, zeigt mir dann schliesslich das Zimmer im 1. Stock: Vorraum, einfaches Badezimmer mit offener Dusche an der Wand, ein mittelgrosses Schlafzimmer, alles gut für eine Nacht zu 25 € . Von der Strasse herauf tönen aus dem offenen Parucchiere von gegenüber die hitzigen Diskussionen, ob nun Prodi oder Berlusconi besser seien und ob Beppe Grillo mit seiner Kampagne gegen alle in Strafsachen verwickelten Politiker (also gegen fast alle) Erfolg haben solle oder nicht. Ich fühle mich so richtig in Italien! Beim Hinausgehen ist der ganze Frauenverein der Familie zum Schwatz im Eingang versammelt und muss mir erst Platz machen, damit ich zur Türe komme, die natürlich wie jedes Mal den Alarm auslöst, der dann wieder am anderen Ende des Raumes gelöscht werden muss. Auf Empfehlung des offenbar einzigen Mannes in dieser Gesellschaft gehe ich nach einem ausgedehnten Spaziergang zum Nachtessen ins Ristorante La Lanterna. Hier gibt es nur die Auswahl zwischen einem Fleisch- und einem Fischmenu. Ich entscheide mich fu?r Fisch und geniesse für 35 € ein ausgiebiges Menu mit reichhaltiger Vorspeise, Spaghetti vongole, einer Platte mit Fischen, Muscheln und Krabben, hausgemachtes semifreddo und einem feinen Weisswein. Am Tisch nebenan eine Familie von Grosseltern bis Kleinkindern und lässt sich bei meinem Weggang um halb zwölf gleich zum zweiten Mal Fischplatten bringen (am folgenden Tag ist weder Schule und Arbeitstag…). Essen wird hier noch richtig zelebriert und braucht eben mehrere Stunden.
Donnerstag, 27. September
Um 7 Uhr regnet es leicht, also keine Eile nötig. Beim Bezahlen prüft die Signora meinen 20 €- Schein misstrauisch und ist auch noch nicht beruhigt, als ich ihr erkläre, der komme frisch aus einem Bancomat. Auf meine Nachfrage, woran man denn eine Fälschung erkennen könne, gräbt sie zuunterst in der Schublade nach langem Suchen 3 Scheine hervor und führt mir, daran vor, wie man den aufgeklebten Silberstreifen ablösen kann oder das Reliefzeichen nicht fühlen kann. Meiner ist nach langer Prüfung tatsächlich in Ordnung, worauf sie mich beruhigt das Velo herausnehmen lässt. Die Wolkendecke hat sich inzwischen schon teilweise aufgelöst, es du?rfte wieder ein guter Tag werden. In Marina Gioiosa Jonica suche ich das gemäss Wegweiser vorhandene Amphiteatro vergeblich, dafür zerbricht wieder einmal meine bereits geflickte Sonnenbrille. Doch der vor 2 Jahren in Kirgisien gekaufte russische Leim löst auch dieses Problem wieder, und weiter geht es durch Rocella Jonica mit den imposanten Burgruinen über dem Ort, einem Mittagsrast am verlassenen Lido von Isca und schliesslich nach Soverato, wo erstmals wieder grössere Ortschaften beginnen. Ich bleibe jetzt immer auf der alten Strasse, bis diese plötzlich von einem kleinen Erdwall versperrt ist, vor dem ein Fahrverbot aufgestellt ist. Ich habe keine Lust, auf die weiter oben liegende Schnellstrasse auszuweichen. Mit dem Velo wird das doch auch hier sicher irgendwie gehen! Ein absolut lohnender Entschluss: die nächsten 2 km fahre ich über eine zwar zum Teil von Steinschlägen und Erdrutschen eingeengte Strasse, die zudem von Unkraut teilweise überwachsen ist. Aber fahren kann man, und dazu huschen überall Eidechsen weg. Über der alten Steinbrücke, die zuhinterst einen ausgetrockneten Bach quert, sind zuoberst knapp Häuser sichtbar, die schon bedenklich nahe an der ständig weiter wandernden Rutschkante stehen. Und als Gegensatz schon wieder weiter vorne gegen das Meer, aber hoch oben die neue Strassenbrücke wie aus einer anderen Welt. Am liebsten würde ich die gleiche Strecke gleich nochmals fahren. Leider sind hier meine Kartenkopien 1: 200’000 zu Ende, und ich muss mich bis Apulien auf die Karte 1: 800’000 verlassen. Das Umgewöhnen nach so langer Zeit ist recht schwierig, und häufig schätze ich in den nächsten 2 Tagen die Zeit falsch ein. In Catanzaro Marina muss ich nach dem Bad am riesigen Kiesstrand langsam entscheiden, wie weit ich heute noch fahren will. 67 km bis Crotone scheint mir kurz vor 16 Uhr doch etwas weit, aber in irgend einem der wenigen Orte dazwischen wird es zur Not wohl ein Hotel haben, also weiter. Aber Botricello nach 17 Uhr macht mir keinen einladenden Eindruck, ein Albergo ist auch nicht gerade in Sicht, als durchziehen. Der inzwischen wieder recht starke Scirocco macht mir aber auch als Seitenwind ganz schön zu schaffen, und zudem geht es nun auch noch ständig leicht aufwärts. Ich spekuliere darauf, dass ab dem Richtungswechsel 20 km vor Crotone dann Ru?ckenwind folgen wird, aber bis dort ist es noch ein echter Chrampf. Es dämmert bereits, als nach dem Flugplatz endlich wieder eine Talfahrt folgt. Mit 62 km/h zum Ziel! Aber Irrtum, es folgen nochmals kleine Hu?gel und dann eine endlos scheinende Vorstadt, wieder Industriezone, etwas Wald, und erst bei völliger Dunkelheit bin ich nach verschiedenem Nachfragen endlich im Zentrum. Zum Glu?ck finde ich nach einigem Fragen und durchschlängeln im Verkehrsstau auch ein Hotel (*) und komme um 20 Uhr endlich zur lang ersehnten Dusche. Auf der Suche nach einem stärkenden Nachtessen bietet mir an der Kreuzung eine Passantin Hilfe an, aber ich solle ihr dafür Zigaretten bezahlen. Da ich wirklich Hunger habe und faul bin, steige ich gehe auf Handel ein. Doch Pasta scheint es abends in billigeren Lokalen trotz ihrer anderen Meinung nicht mehr zu geben, nur Pizza überall. Sie sei selber Köchin (was sie mir mit einem Ausweis sogar auch beweist), zu Zeit gerade arbeitslos, und wu?rde mir gerne zu Hause ein Nachtessen machen, aber das sei 8 km ausserhalb von Crotone (zum Glück!).Schliesslich schleppt mich Vittoria in eine Bar, wo eine Bekannte auf ihre Bestellung hin Spaghetti Carbonara und Salat macht. Obwohl sie immer wieder beteuert, sie wolle selber nichts essen und trinken, spachtelt sie munter mit und ich bestelle natürlich auch ihr ein grosses Bier dazu. Aber fu?r 5 € das ganze Essen konnte ich wirklich nichts sagen. Dazu will sie mich überreden, am nächsten Mittag zu ihr hinaus zu kommen, wo sie mir dann Meeresspezialitäten servieren werde. Sie kann gar nicht verstehen, dass ich schon am Morgen weiterfahren will, Apulien habe ja noch lange Zeit … Richtig mühsam wird es aber erst draussen, als sie auch noch 10 € fürs Taxi nach Hause will, nachdem sie zuvor erklärt hatte, ihr Sohn werde sie dann mit dem Auto abholen. Der sei jetzt eben gerade nicht erreichbar, etc. Ich lehne mit dem Hinweis auf die 5 € für Zigaretten ab, worauf sie ein Gejammer beginnt, nun müsse sie auf der Strasse übernachten, ich sei herzlos. Ich bin überzeugt, dass sie ohne weiteres einen Autofahrer findet, der sie auch für 5 € zurückbringt, denn diese hat sie noch gar nicht gebraucht, wie sie selber nun eingesteht. Schliesslich kann ich sie am Hauptplatz verabschieden, obwohl sie überzeugt ist, dass ich das Hotel alleine nicht finden würde, da ich ja auch den Namen nicht wüsste. Aber den Weg ab dem Hauptplatz hatte ich mit tatsächlich richtig eingeprägt, so dass sich diese Prophezeiung nicht zu erfüllen brauchte.
Freitag, 28. September
Da ich es am Vortag nicht mehr zum Meer geschafft habe, will ich dies heute doch noch nachholen und lasse das Gepäck zunächst im Hotel. Auch
in Crotone fällt auf, wie sich alle Orte am Meer um attraktive Uferpromenaden bemühen und dabei keinen Aufwand für grosszügige Neugestaltungen zu scheuen scheinen. Die Stadt ist übrigens auch stolz auf einen ihrer frühesten Einwohner: Pythagoras. An die griechische Vergangenheit erinnern auch die Säulenfassaden um den zentralen Platz (Piazza Pitagoro). Unter dem Castello beginnt auch bereits der Frischwarenmarkt mit Meerfrüchten, Gemvse und Obst jeglicher Art. Dahinter wieder stille verwinkelte Gassen, dass man sich fast auf dem Lande fu?hlt. Um 9 Uhr starte ich mit den bereits u?blichen Orientierungsproblemen aus der Stadt hinaus Richtung Norden. Der böige Westwind macht sich vor allem auf Bru?cken sehr unangenehm bemerkbar, so dass ich den Lenker mit aller Kraft halten muss, wenn gleichzeitig nebenan ein Lastwagen u?berholt. Zum Glu?ck nimmt die parallel verlaufende Schnellstrasse bald den Hauptverkehr ab. Dafu?r bringen nun Regenwolken einen feinen Spru?hregen, der mich schliesslich zwingt, erstmals den Regenschutz u?ber zu ziehen. Damit macht sich der Wind noch unangenehmer bemerkbar. Ich warte deshalb das Ende des Schauers lieber unter einigen Bäumen ab und kann dann glu?cklicherweise den Regenschutz bald wieder endgu?ltig versorgen. Die Ebene zwischen den kahlen Hu?geln und dem Meer wird vor allem von Reben bedeckt. Die Traubenernte ist vielerorts gerade im Gange. Die Trauben sind vielerorts leicht geschrumpft, wie ich vermute du?rfte dies gewollt sein, um den Zuckeranteil zu erhöhen. Erst Tage später erfahre ich von einem Landwirt, dass dies wegen der bereits 4-monatigen Trockenheit sei und keineswegs gewollt sei. Bereits fru?her ist mir aufgefallen, dass alle die breiten Flussbette, u?ber welche die Strasse auf zum Teil sehr hochliegenden Bru?cken fu?hrt, praktisch vollkommen trocken liegen. Deshalb sieht man auf den abgeernteten Äckern auch nirgends eine frische Vegetation. Ciro Marina lasse ich trotz Lust auf caffè rechts unten liegen, da ich nach der gestrigen 165 km- Etappe keine Lust habe, heute schon wieder 50 m’ Höhe extra machen zu mu?ssen. Je mehr nun die Ku?ste und damit auch die Strasse Richtung Westen verläuft, um so stärker wird der Gegenwind. Trotz ziemlich flacher Strasse schaffe ich längere Zeit nur noch eine Geschwindigkeit von 12 bis 15 km/h. Ohne Aussicht auf Besserung will ich schliesslich nur noch einfach diesen Abschnitt hinter mich bringen und beschränke mich nur noch auf kurze Erholungspausen mit Obst oder Kaffee. Nach 40 km Gegenwind endet eine Abku?rzungsversuch bei Marina Schiavona statt auf einer durchgehenden Ku?stenstrasse in einer Sackgasse vor dem ausgedehnten Hafengebiet, also nochmals Gegenwind bis zur Superstrada und u?ber diese durch die Ebene von Sibari. Endlich kann ich nach Osten abdrehen und habe damit den lästigen Wind eher im Rücken. Jetzt fehlt nur noch das Bad am Strand, aber die Küste liegt erst weiter östlich im Sonnenschein. Nach Villapiana Lido finde ich endlich einen Weg, der durch den Wald hinter der Bahnlinie zum Strand zu führen scheint. Ziemlich auf den Felgen muss ich vor der Barriere zuerst den Zug abwarten, bis ich durch den Uferwald den Strand erreiche und nach einer Schwimmrunde in aller Einsamkeit mein schon lange aufgespartes Zvieribrot geniesse. Beim Aufbruch fehlt mir aber plötzlich der Velohelm, nachdem ich kurz zuvor schon in den Steinen auf die extra beiseite gelegte Brille gestanden bin. Irgendwie scheint mir die Anstrengung des Tages auch aufs Gehirn geschlagen zu haben! Trotz suchen am Strand, auf dem Weg durch den Wald und beim Bahnu?bergang bleibt der Helm verschwunden. Hätte mir jemand so etwas erzählt, würde ich das wohl nicht für möglich halten, aber ich habe dies offenbar wirklich geschafft! 6 km weiter in Trebisacce frage ich im Hotel als erstes nach der Möglichkeit, einen Helm zu kaufen. Ja, das habe es früher gegeben, aber dieser Laden existiere nicht mehr. Ich hoffe aber, in einer der nächste grösseren Ortschaften wieder einen Helm zu finden, denn inzwischen ist es mir gar nicht mehr wohl ohne diesen Schutz, und im Hinblick auf die bevorstehenden langen Abschnitte auf der Superstrada bis Taranto erst recht nicht.
Samstag, 29. September
Als erstes fahre ich nochmals nach Villapiano zurück und suche nochmals überall, aber wieder ohne Erfolg. Beim unerwarteten Morgenessen im Hotel gibt mir der Signore aber dann doch eine Motorradhandlung am Dorfrand an, die auch Velos und deshalb sicher auch Helme habe. Ich kann hier tatsächlich einen Helm kaufen, der allerdings eher für Motorräder und Skater gemacht zu sein scheint, laut Verpackung aber auch als Velohelm gebraucht werde. Wenigstens eine Art Schutz, und für 28 € statt der angeschriebenen 35 € kann ich nicht viel sagen. So starte ich schliesslich um 9 Uhr wieder voll ausgerü?stet weiter nordwärts. Bis zum malerischen Capo Spulico mit dem zum Restaurant umfunktionierten Schloss kann ich noch auf der Strada Provinciale bleiben, aber dann gibt es fast 100 km lang nur noch die 4- spurige Superstrada, die nur bei den kurzen, noch nicht fertig gestellten Brücken jeweils kurz unterbrochen ist. Zum Glück hat sie aber einen breiten Bankettstreifen, auf dem ich nicht jeden Lastwagen immer im Auge behalten muss. Aber die Fahrt durch die endlos scheinende Ebene an der ionischen Basilicata- Küste ist sehr monoton und wird nur durch eine längere Unterhaltung mit einem Polizisten und einem Kaffeestopp unterbrochen. Erst 15 km vor Taranto komme ich endlich wieder in Meeresnähe. Hier kann ich mich auch endlich wieder mit einer 200’000-er Karte von Apulien orientieren, die ich bereits in Napoli gekauft hatte. Lido Azzurro tönt vielversprechend und erweist sich denn auch als (wie immer leerer) Sandstrand hinter einem Dünenstreifen. Bei 31 Grad bringt das Bad mit ca. 22 Grad nicht nur etwas Abkühlung, sonder lockert nach der monotonen Fahrt auch etwas die Muskulatur. Vorläufig wirkt Taranto gar nicht einladend: Zuerst ein riesiger halb leerer Containerhafen, dann stinkende Raffinerie- Anlagen (ENI), aber dann doch plötzlich hinter einer Kurve der Ausblick auf einen Yachthafen, eine alte Steinbru?cke und dahinter eine Altstadtkulisse. Diese erweist sich als Centro storico mit dem Castel Aragonese, welches die Einfahrt aus dem Mare Grande in das dahinter liegende Mare Piccolo kontrolliert. Eine eiserne Drehbrücke aus dem Jahre 1887 verbindet die Altstadt mit der von geraden, meist rechtwinklig verlaufenden Strassen der Neustadt mit imposanten Bauten aus dem 19. und beginnenden 20. Jh. Nach dem Hotelbezug finde ich auch schon schnell ein internet (Inder!) und kann nun endlich den Flug von Catania auf Abflug Bari umbuchen und später auch das Hotel in Catania abbestellen, denn eine Fährverbindung Bari- Catania gibt es tatsächlich nicht. Dafür habe ich so auch einen Tag länger Zeit und kann es locker nehmen bis zum Abflug ab Bari am 5. Oktober abends. Die grosszügige Fussgängerzone mit den grossen Plätzen dazwischen ist Samstagnacht so voll Menschen wie bei uns um die Mittagszeit, nur mit dem schönen Unterschied, dass es niemand eilig hat. Nur bei den Restaurants am Canale Navigabile und vor den Gelaterie ist ein Gedränge. Ich beschliesse den Abend in einer Trattoria mit Gnocchi alla tarantea (=viel Käse) und einer grigliata di pesce und anschliessend auf dem Heimweg dem ungefähr dritten Gelato heute. Das absolut beste der ganzen Reise bisher: Millefoglie. Wirklich , die Gelati und der caffè wären zwei gewichtige Gründe, um in Italien zu bleiben!
Sonntag, 30. September
Nach der nochmaligen Reiseplanung vom Vorabend habe ich beschlossen, dass ein Halber Tag für Taranto gut ausreicht. Ich beginne den Sonntag deshalb nochmals mit einer ausgiebigen Stadtbesichtigung und beginne im Centro Storico mit den engen (sehr engen!) Gassen, den Kirchen und den griechischen Säulen, die über Jahrhunderte im Innern eines Hauses „versteckt“ gewesen waren. Am späteren Vormittag kommt auch in der Neustadt in der Fussgängerzone und am Lungomare immer mehr Betrieb auf. Kurz nach zwölf fahre ich los Richtung Talsano. Unterwegs kann ich an einer Tankstelle auch endlich im Autolavaggio das Velo, vor allem Zahnräder und Kette, reinigen, nachdem bisher bei jedem Autolavaggio entweder die Pumpe nicht funktionier hatte, das Wasser gerade abgestellt worden war oder ganz einfach Siesta abgehalten worden war. Und hier erst noch ganz gratis! Jetzt geht die Fahrt wirklich wieder einfacher. Die anfänglich dichte Folge von Badeorten wird allmählich durch immer längere Abschnitte offener Küste abgelöst. Die Strasse verläuft recht eben durch einen Dünenstreifen wenige Meter neben dem von einigen Felsen durchsetzten flachen Sandstrand. In regelmässigen Abständen sind auch noch flache Betonbunker sichtbar, wahrscheinlich Reste aus dem 2. Weltkrieg. Bei Librari kaufe ich an einem Stand Tomaten und Trauben und suche mir hinter einigen Büschen ein Schattenplätzchen unter Bäumen am Strand zum Picknicken und etwas schlafen. Als ich das Velo zur Strasse zurückschiebe, höre ich Schleifgeräusche und entdecke, dass beide Räder mit kleinen du?rren stacheligen Früchtchen gespickt sind. Sofort ziehe ich jedes einzeln vorsichtig heraus und stelle an der Strasse erleichtert fest, dass offenbar beide Reifen keinen Schaden genommen haben. Nach den vielen durchfahrenen Scherben in Kirgisien und auch in Italien schwöre ich einmal mehr auf diese „Schwalbe“- Reifen, mit denen ich innert bald 3 Jahren und gut 8’000 km noch nie eine Panne erlebt hatte. Nach dem täglichen Bad, diesmal bei Maruggio, stosse ich in Specchiaria auf eine Umleitung. Die in der Karte eingezeichnete direkte Strasse nach Torre Colimena ist zu Gunsten eines Naturschutzgebietes aufgehoben worden. Mit dem Velo darf ich aber trotzdem durch und komme so in den Genuss einer wunderbaren Naturlandschaft zwischen Meer und ehemaligen Salzlagunen, die in früheren Jahren durch einen kleinen in den Fels geschlagenen Kanal geflutet werden konnten. Mit der untergehenden Sonne komme ich um 18.40 Uhr in Porto Cesareo an, wo am Hafen der übliche Sonntagabendrummel mit Imbiss- und Marktständen herrscht. Da ich im Gedränge nicht gerade ein anderes Hotel sehe, gehe ich auf Empfehlung eines Einheimischen trotz der 4 Sterne zum Hotel Falli und erhalte hier zur Überraschung fu?r 50 € sogar ein Doppelzimmer mit Fru?hstu?ck.
Montag, 1. Oktober
Sogar das internet am Empfang kann ich hier nach dem ausgiebigen Morgenessen benutzen, und so schreibe ich mir auch gleich noch Adressen von agriturismo- Unterkünften zwischen hier und Bari heraus. Um halb zehn fahre ich los. los. Nur selten ein Auto, angenehmem Ru?ckenwind, gute Strasse, schöne Aussicht u?ber das Meer…. was will man noch mehr? Nach einer Stunde sehe ich zwei Radfahrer mit grossem Gepäck, die mir entgegen kommen. Wir plaudern ein wenig, tauschen Erfahrungen aus. Es sind Deutsche, die von Bari aus 10 Tage bis Lamezia Terme fahren wollen und mit dem Zelt unterwegs sind. Ich ru?hme unter anderem einmal mehr meine guten Reifen und fahre dann weiter. Aber am Hinterrad scheint etwas nicht zu stimmen, und tatsächlich: nur noch halb so viel Luft. Aber kein Problem: an den Strassenrand, abladen, Velo umkehren, Flickzeug heraus und los. Aber so einfach ist das im Ernstfall eben nicht. Erstens habe ich die Reifenheber zu Hause vergessen und muss nun mit Sackmesser (Büchsenöffner) und kräftigen Fingern den Schlauch unter dem Pneu hervor holen. Und zweitens gelingt es mir auch mit einem am Strassenrand gefundenen und notdürftig geflickten Holzteller und meinem noch vorhandenen Mineralwasser- Rest noch nicht, das Leck zu lokalisieren. Hören kann ich es auch nicht, da der Wind viel zu laut in den Bäumen rauscht. Als ich schon beschlossen habe, einfach mehrmals zu pumpen, bis ich zu einer Tankstelle gelangen würde, fährt nach bald 2 Stunden zum Glück ein Auto zum bisher einsamen Haus in der Nähe. Ich erhalte nun eine kleines Becken und kann so endlich das Mini- Löchlein finden. In der Folge finde ich endlich auch den Übeltäter im Reifen. Ein winzig kleines Stück von einem offenbar am Vortag abgebrochenen Stachel aus Librari. Nach gut 2,5 Stunden kann ich meine Fahrt endlich fortsetzen, um viele Erfahrungen reicher bezüglich Pneus, Flicktechniken und auch Kettenwechsel. Bei Cenate kann ich an einer Tankstelle auch noch den Reifendruck bequem auf den Solldruck erhöhen lassen und erhalte dazu ebenfalls gratis auch noch nützliche Tipps zur weiteren Strecke. Statt zum Morgenkaffee erst am frühen Nachmittag erreiche ich so Gallipoli. Ein gigantisches Hochhaus aus Glas und Stahl (Küstenwache oder Guardia di finanza) verdeckt beinahe den auf einer kleinen Felseninsel gelegenen Centro storico, in welcher ich gleich als erstes auf die “Academia del gusto“ (cremeria/graniteria/yogurteria) stosse. Wenn das keine Einladung ist! Aber zuerst besichtige ich die zahlreichen historischen Bauten, unter denen vor allem die farbigen Kirchen hervorstechen. Leider sind alle geschlossen. Hier fallen mir auch zum ersten Mal seit Napoli wieder ausländische Touristen auf, darunter viele Deutsche und Schweizer. Bei Torre San Giovanni komme ich mit einem italienischen Radfahrerpaar aus dem Trentino ins Gespräch, das schon zum dritten Mal in dieser Gegend Veloferien verbringt. Überhaupt scheint Apulien bei Velofahrern recht beliebt zu sein, denn in den nächsten Tagen sehe ich ab und zu Velofahrer. Die Beliebtheit kommt sicher auch daher, dass es hier im Gegensatz zu den anderen Provinzen recht flach ist und mindestens im Absatzsporn kaum ein Hügel 400 m’ Höhe erreicht. Immer mehr fallen hier die gepflegten Acker- und Gartenflächen auf. Die einzelnen Grundstücke sind mit weissen Kalksteinen eingefasst, dazwischen leuchten die frisch gepflügten Böden braun- rot. Auch die Häuser sind meistens weiss und mit Flachdächern, so dass ich mir bald wie in Griechenland vorkomme. Um 18 Uhr stehe ich an der Punta Ristola am südlichsten Rand des Stiefel- Absatzes. Gegenüber liegt das Capo Sta. Maria di Leuca mit den Grotte del Diavolo. An dieser Landspitze soll angeblich auch Petrus als christlicher Missionar gelandet sein, nachdem der Ort auch schon Beginn der griechischen Ausdehnung nach Italien gewesen war. Am Hafen finde ich auch einen Wegweiser zum agriturismo “La Serine“, wo ich einmal u?bernachten möchte. Nach einer letzten anstrengenden Bergfahrt und bereits nach Sonnenuntergang finde ich ca. 4 km weiter nördlich dieses sehr gepflegte Landgut. Unterkunft 40 €, mit Nachtessen 45 €. Selbstverständlich sage ich sofort zu und habe auch gar nichts zu bereuen: Das von einem 3-köpfigen Küchenteam bereitete Essen stellt sich als echter 5-Gänger heraus, und von den verschiedenen kleinen Vorspeisen u?ber die Pasta und das pollo bis zum Käse und zum Wein alles aus eigener Produktion. Und am Morgen geht es mit dem Morgenessen in gleicher Art weiter: eigenes , wirklich gutes Brot, verschiedene Konfitu?ren, Honig, Wurst, …. Separat verrechnet werden nur Wein und caffè mit grappa.. Das geräumige Zimmer mit Gartensitzplatz und der riesige Umschwung würden ebenfalls zu einem längeren Aufenthalt einladen. Vorläufig kann ich nach einem wirklich nötigen Verdauungsspaziergang nur den milden Abend auf meinem Sitzplatz und etwas musikalische italianità aus dem ipod geniessen.
Dienstag, 2. Oktober
Vor dem Morgenessen schaue ich mir den Landwirtschaftsbetrieb auch etwas näher an. Der Eigentümer ist ein pensionierter Herzchirurg, der sich jetzt ganz der Landwirtschaft widmet und mit den 5 bis 6 Angestellten auch aktiv mitarbeitet. Neben Obst, Reben und Oliven sind Flächen von Lauch, Kohl, Artischocken, Fenchel, Ru?ben etc. in den verschiedensten Wachstumsstadien sichtbar, und das meiste mit Schläuchen für Tropfenbewässerung versorgt. Die Tiere sind in einem Gebäudekomplex weiter entfernt. Eine Unzahl von verarbeiteten Produkten wird direkt im Hofladen verkauft. Ich entscheide mich für einen Fenchel- Likör, wie er bei uns jeweils im Una Storia mit der Rechnung serviert wird. Auf kleinen Strässchen und durch von Steinmauern eingefasste Oliven Anlagen erreiche ich nach 15 km Tricase und lasse es mir nicht nehmen, den Platz vor der Kirche Sant’Andrea zu suchen, der im Roman “Casa Rossa“ eine wichtige Rolle spielt. Ab Tricase Porto folge ich wieder der Küste, die hier auf der Adriaseite deutlich steiler und felsiger als am Ionischen Meer ist. Auf längeren Abschnitten gibt es ausser Feigenkakteen kaum Vegetation. Am Meer sind in den Kalkfelsen immer wieder vom Wasser ausgespu?lte Höhlen zu erkennen. In Santa Cesarea Terme sticht neben den Hotels im Jugendstil vor allem der in maurischem Stil errichtete Palazzo Sticchi ins Auge. Gegen immer kräftigeren Gegenwind erreiche ich schliesslich das Capo Otranto und kann mich über die gewaltigen Informationstafeln wundern, die auf das EU-Projekt zur Erhaltung der Natur und des hist. Leuchtturmes hinweist, während gleich daneben eine andere Tafel Informationen zum Ausbau der landschaftsverschandelnden Radarstation bekannt gibt. Die Stadt Otranto als Endpunkt der röm Via Appia und Ausgangspunkt für die Kreuzzüge ist sehr sehenswert. Ich schliesse das Velo vor dem Castello ab und mache mich zu Fuss auf einen Rundgang: auf die mächtigen Stadtmauern, den Platz mit dem Denkmal für die angeblich 800 bei der Eroberung durch die Türken 1480 getöteten Märtyrer, die Kathedrale mit dem über 50 m’ Länge den gesamten Boden bedeckenden symbolhaltigen Stammbaum von Pantaleone, die engen Gassen und Plätze. Erst um 16 Uhr fahre ich weiter. Die Ku?ste ist jetzt immer etwa gleich und bietet wegen der Felsen auch nur wenige Badegelegenheiten. Ich entscheide mich deshalb in La Foca fu?r eine Weiterfahrt über Lecce. Auf der schnurgeraden Strasse komme ich mir in der untergehenden Sonne bald vor wie Lucky Luke auf seinem Jolly Jumper jeweils im Schlussbild, wenn er in den Sonnenuntergang reitet und pfeift: “I’m a poor and lonesome cowboy …“ Am Rande der Altstadt u?berlege ich mir gerade, wen ich um eine Auskunft fragen soll, als ein Mann so um die 40 auf einem klapprigen Velo mich um Geld zum Telephonieren anpumpt. – Ja, schon, aber ich will von ihm dann auch etwas. – Er kommt tatsächlich nach kurzer Zeit zurück und schlägt mir statt Hotel ein B&B vor, er kenne gleich jemanden hinter dem Stadttor. Nach einigen Minuten ist er zurück: niemand im Haus; aber erwisse noch eine zweite Adresse, alles dieser Strasse nach er fahre voraus, ich solle nur gleich hinter oder neben ihm fahren …. und schon geht es los, ohne Licht, mitten durch den dichtesten Abendverkehr, meistens auch noch auf der linken Seite. Mit meinem Gepäcke komme ich oft kaum zwischen den Autos hindurch. Während der Fahrt plaudert er ständig, erzählt von seiner Arbeit, seiner geschiedenen Frau (eine Schweizer Ärztin), den Kindern, den Jugendjahren in Biel (dies halb auf französisch). Als ich schon einwenden will, ich würde nun zurückfahren und in der Stadt selber etwas suchen, fährt er wieder quer über die Strasse und hält vor dem einzigen dunklen Haus. Auf sein Läuten am Gittertor geschieht nichts, doch er geht einfach hinein und kommt im Schein einer kleinen Lampe nach einiger Zeit mit einem alten Mann in Gärtnerschürze zurück: Nur hereinkommen, es sei alles gut, der sei wie sein eigener Grossvater, aber ich müsse dann ja laut sprechen, da er nicht mehr gut höre. Tatsächlich, im 2. Stock finde ich ein hohes altmodisches Zimmer mit Heiligenbildern und davor ein zugehöriges WC mit Dusche. Kosten des Zimmers inkl. Morgenessen in der “Casa Nostra“: 30 €. Ich spaziere nach dem Duschen nochmals eine halbe Stunde in die Stadt zuru?ck, erledige Mails im internet-café und esse zur Abwechslung wieder einmal eine gute Pizza in einer belebten Strasse.
Mittwoch, 3. Oktober
Lecce scheint eine interessante Stadt zu sein, weshalb ich den Morgen nochmals zur ausgedehnten Besichtigung verwende. In einer Buchhandlung kaufe ich schliesslich auch noch ein Buch von Beppe Grillo, dessen Aktion nach wie vor ein tägliches Thema in Zeitungen und Fernsehen ist. Vielleicht kann ich damit mein italienisch etwas vertiefen. Die Fahrt über Squinzano und San Pietro nach Mesagne führt fast immer durch Oliven- Anlagen, dazwischen auch wieder durch Reben. Vor allem die alten Olivenbäume faszinieren mich mit ihren knorrigen Stämmen u?ber den oft erst in der Luft zusammenlaufenden Wurzelsträngen. Viele davon sind wohl mehr als 100 Jahre alt. Ich muss immer wieder anhalten und besonders skurrile Exemplare fotografieren. Der Boden unter den Bäumen ist meistens sauber geputzt, damit die herunterfallenden Oliven einfach
gesammelt werden können. Fast in jedem Feld ist auch noch das kleine runde Steinhäuschen sichtbar, welches früher während der Arbeiten fern von zu Hause als Unterkunft für Mensch und Tier diente. Die grösseren Ortschaften durchfahre ich ohne Probleme meistens trotz Einbahnsignalisation direkt, da meine Richtung für Autos meistens als Umfahrung mit entsprechenden Umwegen signalisiert ist. Dafür sehe ich so jeweils auch noch etwas von den Orten und kann nach Bedarf einkaufen oder caffè, bzw. Gelati geniessen. Vor Mesagne gibt es neben den Oliven auch immer mehr Gemüsefelder. Vor allem Artischocken werden mit Tropfenbewässerungen auf riesigen Flächen angebaut, nach Auskunft eine Landwirtes mit mehreren Vegetationszyklen pro Jahr. Nach Carovigno tauchen auch die ersten vereinzelten Trulli auf, für welche vor allem das Gebiet um Alberobello bekannt ist. Beim Anblick des fast weissen Ostuni auf dem Hügel komme ich mir fast in Nord- Afrika vor. Nur die Kirchen sind ohne weisse Farbe. Die gut erhaltenen Altstadt ist ganz auf Touristen ausgerichtet und die Unterkünfte sind entsprechend teuer. Ich ziehe es vor, vor dem Abend noch bis Cisternino hinauf zu fahren und so morgen weniger Höhendifferenz bis Alberobello vor mir zu haben und in Cisternino auch wieder die Gelegenheit für ein agriturismo zu nutzen. Gegen die untergehende Sonne zu fahren erweist sich aber als äusserst mu?hsam. Trotz Sonnenbrille sehe ich oft kaum etwas, dabei muss ich doch unterwegs auch noch eine etwaige Hinweistafel auf das gesuchte agriturismo “Selvaggi“ oder die Contrada Chiobbico finden. In der ersten Dämmerung komme ich schliesslich in Cisternino an und wende mich gleich an zwei Autofahrer, die am Strassenrand diskutieren. “Chiobbico ? ….., ehh…, ehhh…“. Offensichtlich kommt ihnen das eher spanisch, anstatt italienisch vor, obwohl es ein Teil ihres Wohnortes ist. Zwei Burschen, die hilfsbereit herbeifahren, helfen beim Raten. Schliesslich sind sie sich einigermassen einig, wo das sein könnte, und die Jungen bieten mir an, voraus zu fahren. Also nichts wie los und hintennach. Nach dem schon wieder wesentlich tiefer liegenden Bahnhof erklären sie mir den weiteren Weg: Geradeaus, links, Tabacchiere, weiter, Kreuzung, …. Ich bedanke mich und weiss schon nach 1 km
nicht mehr, was nun als nächstes kommen sollte. Also bei einem Hof nochmals fragen. Nach einigem Studieren folgt auch hier wieder. Tabacchiere, links, …… Bei der nächsten Kreuzung (ohne Tabacchiere !) traue ich der Sache immer weniger und halte wieder eines der seltenen Autos an. Ein etwas verlauster älterer Rasta- Typ mit eine zerbeulten Jeep glaubt mir nach einigem Studieren zuverlässig Auskunft geben zu können, er sei nämlich hier auch für den Strassenunterhalt zuständig: Tabacchiere, Kurve, semaforo, antike Bru?cke, … Voll Zuversicht fahre ich los, denn es ist mittlerweile schon fast ganz dunkel. Das Ru?cklicht habe ich offenbar schon in Lecce bei irgendeinem Schlagloch verloren. Auf- und wie mir scheint immer mehr auch wieder abwärts, vereinzelte Häuser, dunkel. Wo zum Teufel soll in dieser Pampa wohl irgend eine Tabacchiere oder gar ein Lichtsignal sein??. Vor einer einsamen Kirche telefoniere ich schliesslich direkt zum Selvaggi, dessen Nummer ich mir zum Glück aufgeschrieben hatte. Gemeinsam finden wir nach längeren Versuchen heraus , wo ich jetzt bin und so erhalte ich eine zuverlässige Beschreibung: Semaforo, ponte, e poi vede il segno agriturismo!. Also wieder weiter, und tatsächlich komme ich schliesslich an eine Kreuzung mit Lichtsignal, montiere hier endlich wegen der grösseren Strasse mein Frontlicht und passiere schon bald darauf auch die erwähnte Brücke eines alten Acquadotto. Aber mit dem mickrigen Licht finde ich beim besten Willen nirgends die gesuchte kleine Hinweistafel am Strassenrand. Schliesslich kommt er mir mit dem Auto entgegen und führt mich so nach einer weiteren kleinen Irrfahrt zu seinem Selvaggi. Der Toreingang erinnert mich eher an ein fu?rstliches Landgut, aber ich bin schon richtig hier. Für 40 € habe ich eine richtige kleine Wohnung mit Wohnküche, grossem Schlafzimmer und grosszügigem Badezimmer. Nur Abendessen gibt es hier nicht. Der Besitzer fährt mit mir aber spontan im Auto 3 km zum nächsten Laden, wo ich mich mit Pasta, Sauce, Käse und Wein eindecke und mir damit zu später Stunde noch ein dringend nötiges Nachtessen zubereite. Mit dem vielen Wein schlafe ich schliesslich nach dem langen Tag auch gleich in der Ku?che ein, bis ich mich so um 2 Uhr fru?h doch noch ins wesentlich bequemere Bett verschiebe.
Donnerstag, 4. Oktober
Auch hier schade, dass ich weiter muss: zum agriturismo gehört ein sehr schönes Schwimmbad, und für Exkursionen in die Umgebung stehen Fahrräder und umfangreiche Literatur zur Verfügung. Der Eigentu?mer bewirtschaftet hier 7 ha, zusammen mit einem 2. Betrieb total 24 ha, alles Oliven und Wein. Die Oliven werden ab Mitte November geerntet, dürfen aber wegen den empfindlichen Wurzeln nicht mechanisch geschu?ttelt werde. Zur Bewässerung hat er eine eigene Wasserfassung in 400 m’ Tiefe (Karstgebiet). Um 9 Uhr fahre ich ab, über Martina Franca nach Locorotondo, laut Eigenwerbung die Stadt mit den “ schönsten Vierteln Italiens“. Die kleinen, eng zusammen stehenden Häuschen wirken zum Teil fast wie in einem kleinen Dorf. Auch hier wie schon in Ostuni und später noch viel mehr in Alberobello scheint der Tourismus zu den wichtigsten Einnahmequellen zu gehören. In Alberobello gerate ich denn auch mitten in den Touristenrummel. Die reichlich vorhandenen Trulli werden als UNESCO-Kulturerbe ausgiebig vermarktet, sind aber trotzdem noch interessant. Zum Glück hatte ich bereits vorher unterwegs Gelegenheit, leerstehende Trulli selber ausgiebig zu besichtigen, ohne das Gefühl zu haben, ich müsse nun auch noch gleich etwas kaufen oder essen. Besonders eindrücklich sind die kunstvollen Dachkonstruktionen einzig aus Steinplatten ohne Balken oder Mörtel. Von nun an geht’s bergab! Mit 410 m.ü.M. bin ich in Alberobello für den Rest der Reise auf dem höchsten Punkt und kann mich unbeschwert auf die Fahrt ans Meer hinunter freuen. Es geht denn auch nun vor allem leicht und auch schnell, so dass ich in Putignano beschliesse, entgegen meinem ursprünglichen Plan doch noch die Grotten von Castellana zu besuchen, die mir u?berall hier schon so empfohlen worden waren. Sie gehören zu den grössten Europas und sind mit den 70 m’ hohen Hallen und den 3 km langen Gängen wirklich eindrücklich. Um doch noch vor der Dunkelheit nach Bari zu gelangen, muss ich mich nun aber tüchtig ins Zeug legen. In Noicàttaro halte ich nur kurz fu?r einige Schnappschüsse der den Abend geniessenden alten Männer auf dem Dorfplatz, und um 18 Uhr erreiche ich in Torre a Mare
schliesslich wieder die Adria. Eine Ortstafel von Bari für eine Abschlussfoto kann ich leider nirgends entdecken, und so muss ich eben das Schlussbild der eigentlichen Tour um 18.50 Uhr im Hafen machen lassen. Das Paar, das dies für mich macht und sich als russische Touristen aus Jekaterinenburg entpuppt, ist hoch erfreut, jemanden zu finden, der mit ihnen russisch spricht. Ich habe hingegen anschliessend längere Zeit Mühe, mich wieder in italienisch zu recht zu finden. Zum letzten Mal zwänge ich mich mit dem beladenen Velo im dichten Abendverkehr durch eine Innenstadt und finde nach einigem Fragen bei der Universität ein Hotel. Den späteren Abend benutze ich bereits für einen ersten Rundgang über den Corso Cavour zur Piazza Mercantile am Rande der Altstadt.
Freitag, 5. Oktober
Mit dem Velo erkunde ich zuerst einmal den Strand am Ostrand von Bari, da ich heute Nachmittag gerne nochmals ein letztes Bad geniessen möchte. Dann gemütlich der ganzen Meerespromenade entlang: die mächtigen Gebäude von Armee und Carabinieri, der Alte Hafen mit den Segelyachten, die Fischer, welche eine Vielzahl mir unbekannter Meeresgetiere verarbeiten, der neue Hafen mit den riesigen Fähren nach Albanien, Griechenland oder Türkei, die grossen Frachter, hinaus bis zum Faro di San Cataldo und wieder zuru?ck in die Stadt mit Besichtigung des monumentalen Castello Normanno, der Kathedrale (mit Hochzeit), der Basilica (geschlossen) und vor allem der unzähligen engen, aber auffallend sauberen Gassen. Gutes Essen in einer Osteria (wie schon am Abend zuvor). Und zum Schluss noch ein gemütliches letztes Bad an der Spiaggia Communale. Um 17.15 Uhr fahre ich vom Hotel Romeo ab, lasse unterwegs an einem Autolavaggio nochmals das ganze Velo waschen, damit ich es besser einpacken kann, und erreiche nach einer eher unangenehmen Fahrt auf der sehr stark befahrenen Superstrada mit nur ganz schmalem Bankettstreifen um 18.20 Uhr den Aeroporto Bari- Palese. Im Parkhaus verpacke ich zuerst das Velo in die Transporttasche, wasche mich mit meinem Flaschenwasser und ziehe mich um für den Flug. Einchecken wie geplant um 19.30 Uhr, aber mit einigen Problemen, denn
meinen deutschsprachigen elektronischen easyjet- Gutschein versteht sie nicht und verlangt zunächst nochmals ein Billet für das Gepäck und ein besonderes für das Velo. Nach einiger Diskussion glaubt sie mir schliesslich und gibt mir das Ticket. Immerhin musste ich ja bereits mehr als angekündigt für die Umbuchung bezahlen. Die beste Überraschung folgt aber am Gate um 20 Uhr 50: statt um 21.20 Uhr fliege das Flugzeug erst um 02.30 Uhr. Als Grund wird gemeldet, es sei nicht genügend Mannschaft da. Was soll ich um halb vier in Malpensa?? Aber ärgern bringt nichts, und so schlage ich mich eben mit dem ipod, lesen, dösen und etwas Gymnastik für den steifen Nacken durch die nächsten Stunden. Schliesslich starten wir „bereits“ um 02.00 Uhr, aber mit der Ankunft um 03.20 in Malpensa bin ich auch nicht besser dran. Während fast alle Passagiere mit Taxis oder Bekannten in Autos Richtung Mailand verreisen, versuche ich es mir im Terminal 2 auf einem Gitterbänkli mit unterlegten Kleidern einigermassen bequem zu machen. So kann ich wenigstens zwei Mal knapp eine halbe Stunde schlafen, die übrige Zeit versuche ich zu lesen oder spaziere umher. Um 8 Uhr kommt schliesslich wieder der erste Bus nach Mendrisio und Lugano. Für 30 Franken fährt er uns zwei einsame Passagiere auf der Autobahn über Mailand und Como nach Mendrisio. Für die Bahnfahrt erhalte ich sogar noch einen Gutschein von 10 Franken, so dass mein Billet nach Bellinzona mit dem Busbillet auch bereits bezahlt ist. Ob das rentieren kann? Wahrscheinlich will man so den ohnehin nicht rentierenden Flugplatz Milano- Malpensa attraktiv machen. In Mendrisio kann ich so fast nahtlos auf den Zug nach Bellinzona umsteigen. „Dank“ der Flugverspätung ergibt es sich damit schliesslich, dass ich um 10 Uhr genau 4 Wochen nach meinem Start an der gleichen Stelle wieder vor dem Bahnhof in Bellinzona stehe und glücklich und gespannt auf Paula warten kann, die mich von Calonico aus hier abholen wird.
..und die Bilanz ? • SUPER !!! •
28 Tage unterwegs • nicht den geringsten Unfall • nur eine einzige (blöde) Panne • fast 3’000 km (genau: 2’978 km) • nur eine knappe Viertelstunde mit Regenschutz • viel gebadet in überraschend sauberem Meer • sehr viel Italien gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, … • überall nette Leute gefunden • neue Freude an der italienischen Sprache gewonnen (eine der schönsten Sprachen) • nichts gestohlen • wenig verloren (Sonnenkappe, Berlitz- Sprachführer, Rücklicht, Helm ) • viel zu viel mitgenommen • eine Flut von Eindrücken und Photos zum verarbeiten • Dankbarkeit, dass alles so klappte • rundum zufrieden • …. und viel Erfahrung gesammelt für weitere Touren (so lange ich noch mag und darf….)